Inhaltsverzeichnis
Präambel 3
Kompetenzen 5
Schularbeiten 6
Pflicht und Kür bei (Mathematik-)Schularbeiten 6
Schularbeit – na und? 10
Schularbeit auf Raten 15
Schularbeitsrückgabe ohne Noten 20
Schularbeitsrückgabe ohne Bauchweh 23
Test-Varianten 25
Bio? Logisch! 25
Die Schule gibt pausenlos Antworten auf Fragen, die kein Mensch gestellt hat 27
Lernen lernen durch Testen 29
Leistungsfeststellung im Rahmen der Mitarbeit 31
Vom Schüler zum Autor 31
Portfolio im Englischunterricht der Oberstufe 34
Physik, wo bleibt die Sprache? 37
Broschüren- statt Schularbeit 41
Mitarbeitsbewertung belebt den Unterricht 46
Anhang: Kompetenzen-Liste 50
Mitarbeiter/innen 54
Präambel
„Fehlermärchen“
Es war einmal ein junger Absolvent der Wirtschaftsuniversität, der alle Prüfungen mit Auszeichnung absolviert und sofort nach seiner Sponsion mehrere Jobangebote erhalten hatte. Letztlich entschied er sich für eine große, international tätige Firma. Nicht zuletzt wegen seiner Zeugnisse und Zusatzqualifikationen setzte seine Chefin gewaltiges Vertrauen in ihn und übertrug ihm sehr bald ein Großprojekt.
Da passierte es: Der junge Mann beging einen schweren Fehler und setzte bei diesem Projekt 75 000 Euro in den Sand. Er war am Boden zerstört, wurde zur Chefin zitiert und bekam in diesem Mitarbeitergespräch schwere Vorwürfe zu hören. Als er die Kritik kaum mehr ertragen konnte, ersuchte er um seine Entlassungspapiere, er würde alles unterschreiben. Gerade in diesem Augenblick reagierte die Chefin verwundert: „Glauben Sie, ich bin verrückt, dass ich Sie jetzt entlasse? Ich habe doch eben 75 000 Euro in Sie investiert!“
Fragen der Fehlerkultur
Was zeigt uns diese Geschichte, die tatsächlich bezeugt ist? Wir müssen uns Gedanken über unsere „Fehlerkultur“ machen.
Wer Leistung fördern und fordern will, muss sie auch feststellen und beurteilen. Das vorrangige Ziel der Leistungsfeststellung ist nach wie vor die Überprüfung von Erlerntem, um so eine Beurteilung (Benotung) zu ermöglichen. Die Formen der Leistungsfeststellung und der Leistungsbeurteilung müssen aber an den Unterricht und dessen Inhalte, Methoden und Ziele angepasst werden.
Wir wollen Leistung und Kompetenzen fördern und fordern!
Die AG Leistungsfeststellung ist sich darin einig, dass Leistung etwas Positives ist, von den Schüler/innen verlangt werden muss und von den uns anvertrauten jungen Menschen auch gerne erbracht wird. In diesem Zusammenhang verweisen wir auf das Kapitel 1 (Ausgangspunkt und Zielsetzung) im Papier Überlegungen zu neuen Formen der Leistungsfeststellung und der Leistungsbeurteilung (September 1999), das an allen AHS im Bereich des Stadtschulrats für Wien in zweifacher Ausfertigung vorliegt.
Leistung entwickeln
„Nicht genügend“ zu geben ist natürlich in der Schule legitim, aber das allein ist zu wenig! Die Wirtschaftsmanagerin in dem oben erwähnten „Fehlermärchen“ hat gerade in den schweren Fehlern ihres Mitarbeiters die Chance zur Leistungssteigerung gesehen.
Auch die AG Leistungsfeststellung des Stadtschulrates für Wien bekennt sich dazu, dass Leistungsfeststellung auch Leistungssteigerung mit sich bringen kann.
Prozessorientierung und Produktorientierung
Die Leistungsfeststellung erfolgt sowohl durch die Beobachtung von Prozessen als auch punktuell. Das bedeutet, dass wir in unserer Arbeit eine Mischung aus prozessorientierter und produktorientierter Leistungsfeststellung in den Vordergrund gestellt haben. Im Sinne des Lehrplans 2000 sind auch die als „dynamische Fähigkeiten“ bezeichneten Kompetenzen zum Gegenstand der Leistungsfeststellung zu machen: Wie arbeiten Schülerinnen und Schüler in einem Team, was tragen sie zum Gelingen der Arbeit bei, wie gehen sie an Problemstellungen heran? – Daneben hat die Sachkompetenz weiterhin zentrale Bedeutung.
In den hier vorgestellten Überlegungen ist der Fokus auf eine Förderung von Kompetenzen (wie z. B. der im Lehrplan zitierten „Dynamischen Fähigkeiten“) durch die Form der Leistungsfeststellung gerichtet, wodurch die Prüfungssituation auch zu einer Lernsituation werden kann. So zeigt sich bei einer Schularbeit nicht nur die Beherrschung des Lernstoffs, sondern auch die Fähigkeit zur Zeiteinteilung, Konzentration, Ausdauer, Belastbarkeit … Die bewusste, geplante Steigerung dieser Kompetenzen kann durch mehrere Variationen der gewohnten Überprüfungsformen erreicht werden.
Unterscheidung „Training“ – „Wettkampf“
Bei all diesen Überlegungen muss aber auch für die Schüler/innen völlige Transparenz nicht nur bezüglich des Inhalts, sondern auch bezüglich der Form und des Zeitraums der Leistungsfeststellung herrschen. Wir wollen das mit einem Bild aus der Welt des Sports veranschaulichen: Für einen Skirennläufer ist es beim Start völlig klar, ob er einen Trainingslauf beginnt, in dem er verschiedene Linien und Materialkonstellationen ausprobieren kann, oder ob er in einen Lauf geht, der als Qualifikation für die Mannschaftsaufstellung herangezogen wird.
„Summative“ und „formative“ Evaluation
Summative Evaluation ist eine Evaluation im Hinblick auf das Ergebnis. „Fehler sind tödlich“ ist hier die Devise. Schularbeiten sind schlechte Gelegenheiten, etwas auszuprobieren. Hier muss eher bewiesen werden, was beherrscht wird.
Formative Evaluation ist eine Evaluation im Hinblick auf den Prozess. „Fehler sind Lernchancen“ heißt es dabei. Als Lehrer/innen müssen wir Schüler/innen und Eltern klar machen, um welche Art der Evaluation es sich im betreffenden Fall handelt. Es wäre natürlich unfair, zum Ausprobieren zu ermuntern und dabei auftretende Fehler mit schlechten Noten zu „bestrafen“.
Reizwort Transparenz?
Die AG Leistungsfeststellung erkennt in der Transparenz hinsichtlich der Ziele, der Formen und der Methoden der Leistungsfeststellung einen wesentlichen Beitrag zu einer positiven Schulentwicklung. Bei der Erstellung von „Spielregeln“ kann diskutiert werden. Ist es aber zu einer Vereinbarung gekommen, so ist diese verbindlich einzuhalten.
Eigenverantwortung der Schüler/innen
Wenn wir den Schüler/innen klar machen, was für welche Note zu leisten ist, so nimmt das von uns Lehrer/innen sehr viel Druck weg. Wie viele Diskussionen um Noten können so vermieden werden!?
Ein Angebot für Lehrer/innen
Es ist der AG Leistungsfeststellung ein echtes Anliegen, dass die in der vorliegenden Handreichung vorgestellten Beispiele möglichst große Akzeptanz und Verbreitung finden. Die hier beschriebenen Beispiele sind Angebote, die von Schulpraktiker/innen erstellt und erprobt wurden, und nicht neue von oben verordnete Erschwernisse!
Jede/r Lehrer/in, jede Schule sollte sich einen kleinen Bereich vornehmen und diesen ausprobieren, einen Bereich, der gut anwendbar ist im Zusammenhang mit dem eigenen Unterricht und dem schulstandortspezifischen Schwerpunkt. Diese kleinen Vorhaben sollten allerdings konsequent umgesetzt und mit begleitender Reflexion in den üblichen pädagogischen Konferenzen besprochen werden.
Alles erprobt
Der Aufbau der vorliegenden Broschüre ermöglicht eine weitgehend direkte Umsetzung im Unterricht. Alle vorgestellten Beispiele wurden mehrfach erprobt. Die im jeweiligen Modellbeispiel besonders geförderten Kompetenzen finden Sie dort in einer eigenen Spalte am rechten Seitenrand ausgewiesen. Ebenso wurden die Rahmenbedingungen von den Autor/innen des Heftes transparent gemacht.
Wir Lehrer/innen sind die wichtigsten Schulentwickler/innen
Die Arbeitsplatzzufriedenheit der Lehrerinnen und Lehrer wird umso größer sein, je häufiger diese ausprobieren, was sie für richtig halten. Wer junge Leute zu neugierigen und aufgeschlossenen Menschen erziehen will, muss diese Neugierde und Offenheit ganz einfach vorleben.
In diesem Sinn wünschen wir viel Erfolg und viel Freude bei der Arbeit mit den hier vorgestellten Beispielen.